#4 Persönlichkeitsentwicklung und persönliches Wachstum – praktische Ansätze in Psychologie und Psychotherapie. Und eine neu entwickelte Selbstführungsmethode

Selbstorganisation des inneren Erlebens ‒ das Attraktormodell der Synergetik im Bereich der Psychologie

August 4, 2022

Schauen wir uns einige Ansätze aus den Bereichen Psychologie, Psychotherapie und Persönlichkeitsentwicklung an, und zwar diejenigen, welche die Ziele Glück, Erfüllung und seelische Gesundheit im positiven Sinne explizit in das Zentrum ihrer Methode stellen.

Natürlich sind die Übergänge fließend ‒ und welcher Ansatz würde sich nicht letztlich im Dienst der (auch: seelischen) Gesundheit verstehen? Dennoch gibt es die “pathogenetische” Hauptströmung, die sich “negativ”, d. h. über die Therapie bestimmter Beschwerden definiert und eine deutlich kleinere, “salutogenetisch” orientierte Gegenströmung, der es explizit um eine ganzheitlichere, systemischere Sichtweise und vor allem um positiv definiertes Wohlbefinden bzw. Gesundheit im Sinne der Salutogenese Antonowskys geht (siehe #9 Sich in größeren Zusammenhängen begreifen: Lebenssinn, Stimmigkeit und Werte)

Verhaltenstherapie

Besonders fließend sind diese Übergänge in der Verhaltenstherapie (VT). Die VT hat in den vergangenen Jahrzehnten neue Strömungen und Entwicklungsimpulse in einem Maß aufgenommen und integriert, wie es ihr in der Mitte des letzten Jahrhunderts wohl niemand zugetraut hätte. In diesem Zusammenhang ist vor allem die sogenannte “3. Welle der VT” zu nennen, in welcher sie sich für die fundamental wichtige Rolle der Achtsamkeit geöffnet hat. Weiterhin besteht eine zunehmende Tendenz zur ganzheitlich-integrativen Therapiekonzeption (z. B. in der Schematherapie, beispielhaft in der Konzeption von Eckhard Roediger). Und da die VT derzeit die führende Richtung ist, kann man hier sicher von einem Paradigmenwechel sprechen. 

Zu den allerwichtigsten bzw. bahnbrechenden neueren Ansätzen gehören u. a.:

MBSR (mindfulness-based stress reduction)

Stressreduktion durch Achtsamkeit ‒ die führende (westliche) Referenzmethode der Achtsamkeitspraxis von J. Kabat-Zinn. Das MBSR-Training baut auf der gezielten Lenkung der eigenen Aufmerksamkeit bzw. der Entwicklung, Stabilisierung und alltäglichen Praxis der eigenen Achtsamkeit auf. Es umfasst einige Standardelemente wie 

  • das Einüben der achtsamen Körperwahrnehmung (Body Scan), 
  • das sanfte und achtsame Ausführen einiger Yoga-Stellungen (Asanas), 
  • das stille Sitzen in der Sitzmeditation, 
  • das achtsame Ausführen langsamer Bewegungen etc. 

Seine anhaltende Wirkung jedoch bezieht MBSR ‒ über den Einführungskurs hinaus ‒ aus dem Aufrechterhalten der achtsamen Lebensführung im Alltag.

Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT)

ACT verbindet Achtsamkeit und eine offene Selbstwahrnehmung mit der Fähigkeit des Akzeptierens (das eigene Erleben nicht vermeiden, sondern vollständig annehmen) sowie der Fähigkeit, sich aus der Verschmelzung mit den eigenen (nicht immer hilfreichen) Gedanken zu lösen. Diese innere Haltung geht Hand in Hand mit einer zielbewussten und verbindlichen Handlungsbereitschaft (Commitment) auf der Grundlage einer bewussten und klaren Werteorientierung.

Die Schematherapie

Die Schematherapie ist eine von Jeffrey E. Young entwickelte Therapie für (schwere) Persönlichkeitsstörungen. Sie geht davon aus, dass bei Persönlichkeitsstörungen in der Kindheit und im Verlauf des Lebens selbstbehindernde bzw. selbstschädigende sogenannte “Schemata” erworben wurden (integrierte Muster aus Erinnerungen, Emotionen, Kognitionen, Körperempfindungen und zwingenden Verhaltensmustern). Diese mächtigen, umfassenden und das persönliche Erleben hochgradig beeinflussenden Muster bearbeitet die Schematherapie entsprechend mit einem ganzheitlichen und methodenübergreifenden Ansatz, der weit über die kognitive Therapie hinausgeht und vor allem auch die erwachsene, verantwortliche, reflexions- und entscheidungsfähige Rolle des Patienten stark mit einbezieht.

Die Humanistische Psychologie

Wenn überhaupt eine psychologische Richtung das Konzept des Wachstums, der Persönlichkeitsentfaltung, des “Werdens, als der man angelegt ist” in den Genen hat, dann ist das mit Sicherheit die humanistische Psychologie. Leider wurde sie, ehemals 3. Hauptrichtung neben Verhaltenstherapie und Psychoanalyse/Tiefenpsychologie, wie einige andere therapeutische Ansätze auch von den Platzhirschen Verhaltenstherapie und Tiefenpsychologie aus dem Rampenlicht bzw. den Futternäpfen der Kassenzulassung verdrängt. 

Die humanistische Psychologie ist keine zentral konzipierte Therapieschule, sondern eher ein Netzwerk unterschiedlicher Ansätze, die miteinander verbunden sind

  • durch ein ähnliches Menschenbild (Autonomie, Wachstumsorientierung, Tendenz zur Selbstverwirklichung sowie Ziel- und Sinnorientierung)
  • einige Prinzipien therapeutischer Arbeit (“Hebammen-Prinzip”: Unterstützung der natürlichen inneren Wachstumskräfte der Patienten/Klienten) 
  • und die Orientierung an einer ganzheitlichen, tendenziell auch: systemischen, Sichtweise. 

Zu den wichtigsten Vertretern und Richtungen gehören

  • Abraham Maslow. Bekannt ist vor allem seine “Bedürfnispyramide”, die in den Top-Bedürfnissen “Selbstverwirklichung” und “Transzendenz” gipfelt.
  • die Gestalttherapie von Fritz Perls, die damit arbeitet, die Selbstheilungskräfte als Teil der organismischen Selbstregulation freizusetzen und zu unterstützen.
  • die Logotherapie („sinnzentrierte Psychotherapie“) bzw. Existenzanalyse von Viktor Frankl: Unterstützung des freien Erlebens, des authentischen und eigenverantwortlichen Umgangs mit sich und der Welt, die innere Zustimmung zum eigenen Handeln und Dasein.
  • und natürlich: die klientenzentrierte bzw. personzentrierte Psychotherapie bzw. die klienten-/personzentrierte Gesprächsführung von Carl Rogers, ihrem Begründer.
    Rogers geht davon aus, dass den Menschen eine angeborene Selbstverwirklichungstendenz (Aktualisierungstendenz) antreibt und leitet. Aufgabe des Therapeuten ist es, diesen natürlichen Wachstumsprozess in Richtung “fully functioning person” (= psychisch gesunde, ihr Potenzial voll auslebende Person) im Störungsfall zu unterstützen und ein günstiges Klima für die Wiederaufnahme der unterbrochenen “Selbstaktualisierung” zu schaffen. Dabei sind das empathische Verstehen und das bedingungsfreie Akzeptieren des Klienten sowie die Echtheit und Aufrichtigkeit des Therapeuten bzw. Beraters die entscheidenden “Variablen” (Grundhaltungen).
  • Die Focusing-Methode von Eugene Gendlin. Focusing ist eine sehr effektive Technik, um den Kontakt und die Kommunikation mit dem eigenen Unbewussten herzustellen. Ansatz dieser Methode ist die körperlich spürbare Bedeutung einer Situation oder eines Themas („Felt Sense“). Focusing hilft, für die feinen Signale des Körpers, des Selbst, des Unbewussten empfänglicher zu werden und diese besser und genauer zu verstehen. 

Die systemische Sichtweise

Sinn, Erfüllung, Wohlbefinden, seelische Gesundheit etc.: alle diese Begriffe drücken ganzheitliche Zustände des Erlebens aus. Und in diesem ganzheitlichen Verständnis ist der systemische Blickwinkel im Prinzip bereits mit inbegriffen, da Leben und Erleben NUR in vernetzten und komplexen Systemen funktionieren. So kann man die Phänomene Leben, Erleben, Gesundheit etc. einfach nicht “nicht-systemisch” sehen, ohne an einer elementaren Voraussetzung für ihr Verständnis vorbeizuschrammen. 

Dabei geht es nicht um die Sichtweise irgendeiner systemischen Schule, sondern um einen generellen, offenen Blick auf die relevanten systemischen Zusammenhänge. Z. B.: 

  • Ist mein lädiertes Wohlbefinden auch an besonders systemkritischen “Ecken” gestört (das wäre z. B. der Fall, wenn meine Beziehungs- oder Arbeitsfähigkeit mit beeinträchtigt wäre)? 
  • Wird die Beeinträchtigung meines Wohlbefindens durch Systemzusammenhänge am Laufen gehalten (familiäre Strukturen, Arbeitssituation, gesellschaftliche Umstände)?
  • Wie hängt meine Gesundheit (als offenes System) mit meinen Lebensumständen (weiteren vernetzten Systemen) zusammen?

Die Synergetik 

Ein Paradebeispiel für die Anwendung systemtheoretischen Wissens in Psychologie und Psychotherapie ist die “Synergetik”, die “Lehre vom Zusammenwirken”. Der Physiker Hermann Haken beobachtete in den 70er Jahren (erstmals, von der Physik her kommend, bei Laserstrahlen) die spontane Selbstorganisation in offenen Systemen (Übergang von “chaotischem Wimmeln” in geordnete Strukturen). Vor allem aber entdeckte er in diesen Abläufen systemischer Ordnungsbildung und Ordnungsübergänge allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten des “Zusammenwirkens” (= Synergie), die in den Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften ‒ und der Psychologie! ‒ gleichermaßen zu beobachten und gültig sind. 

So beziehen sich seither psychologische Ansätze verschiedenster Schulen immer wieder auf die Gesetzmäßigkeiten der Synergetik. Und der Mediziner und Psychotherapeut Dietmar Hansch entwickelte in den 00er Jahren mit der “Psychosynergetik” ein vollständig ausformuliertes Modell für Selbsthilfe, Selbstführung und Psychotherapie auf der Grundlage der Synergetik. 

Eine Einführung in die Synergetik mit anschaulichen Beispielen sowie ihre Anwendung auf die Dynamik der Selbstführung findest du im Blog #10 Unsere innere Selbstorganisation ‒ anschaulich dargestellt mit dem Attraktormodell der Synergetik im Bereich der Psychologie.

Die Positive Psychologie

Als letzten psychologischen Ansatz möchte ich dir noch eine junge, jedoch längst etablierte, wissenschaftlich fundierte und vielversprechende Richtung im Bereich Therapie, Coaching und Selbsthilfe vorstellen ‒ und zwar deswegen, weil sich dieser Ansatz das Glück und das Wohlbefinden, Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentwicklung, ein erfülltes und gelingendes Leben im Kontext einer positiv ausgerichteten seelischen Gesundheit explizit auf seine Fahnen geschrieben hat: die “Positive Psychologie” (PP). 

Angestoßen wurde die Positive Psychologie als empirische Wissenschaft 1998 von Martin Seligman, dem “Vater der PP”. In seiner Antrittsrede als Präsident der Amerikanischen Psychologenvereinigung forderte er, dass sich die Psychologie mit der Erforschung positiver Emotionen, positiver Eigenschaften und positiver gesellschaftlicher Rahmenbedingungen befassen solle, anstatt ‒ wie die klinische Psychologie ‒ vorwiegend mit Krankheiten und Defiziten. Seligman forderte eine Umfokussierung auf das, was das Leben lebenswert macht sowie die Voraussetzungen für ein solches Leben.

Damit knüpfte Seligman an verschiedenen Vorgängern (vorwiegend aus dem Feld der Humanistischen Psychologie) wie auch an Zeitgenossen mit wichtigen dazu passenden Einzelkonzepten an:

  • Aristoteles mit seinen Schriften über Glück, Sinnhaftigkeit und Tugend (“Glück ist die Bedeutung und der Sinn des Lebens, das Ziel der menschlichen Existenz”)
  • Maslow, der bereits eine positive Umorientierung der Psychologie forderte und diesen Begriff auch erstmalig verwendete
  • Carl Rogers mit seinen Konzepten der “Selbstaktualisierung” und “fully functioning person”
  • Viktor Frankl, der Begründer der auf Sinnerleben angelegten Logotherapie („Im Dienst an einer Sache oder in der Liebe zu einer Person erfüllt der Mensch sich selbst …”, Frankl, 2004, S. 147)
  • Antonowsky und sein Salutogenese-Konzept: “Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit”
  • Der Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi mit seiner durchschlagend erfolgreichen Flow-Theorie
  • und einige mehr, gerade auch in der aktuellen Forschung und Weiterentwicklung

Die Positive Psychologie setzt sich im Wesentlichen für die Entwicklung der folgenden Qualitäten ein:

  • Wohlbefinden nach dem “Flourishing”-Konzept (s.u.)
  • positive Emotionen (s.u.)
  • positive Einstellungen (Selbstwirksamkeit, Optimismus, Dankbarkeit)
  • selbst- und wachstumsfördernde Motivationen und (intrinsische) Ziele
  • persönliche Stärken (Charakterstärken, besondere “leichtgängige” Stärken, erlernte Fähigkeiten)
  • Achtsamkeit, Gegenwartsorientierung 
  • Flow-Qualitäten des Handelns, “Flow-Persönlichkeit” 
  • ein gesundes, hohes Selbstwert- und Selbstmitgefühl
  • ein erfülltes Sozialleben, positive Kommunikation, gelingende Beziehungen
  • Lebensqualität, Sinn, Lebenssinn und Erfüllung

Ein, wenn auch nur knappes, Portrait der PP würde den Rahmen dieses Artikels überdehnen, deshalb im folgenden nur 2 “Herzstücke” der PP, die allerdings das übergeordnetes Thema dieser Artikelserie punktgenau treffen:

Flourishing

“Die Mehrzahl der Themen und Anwendungen der Positiven Psychologie zielt darauf ab, Flourishing zu erhöhen” (M. Seligman, 2011). 

Flourishing (wörtlich: blühen, aufblühen, gedeihen) beschreibt bildhaft einen Zustand gesteigerten Wohlbefindens oder Glücks, der sich z. B. in einem Gefühl des persönlichen Wachsens und sich Entwickelns, großer psychischer Leistungsfähigkeit, des Ressourcenreichtums und persönlicher Stärken, aber auch in einem erfüllten Sozialleben ausdrücken kann. Flourishing entsteht in fließenden Verbindungen von souveräner, optimaler Lebensführung, der Bewältigung der Lebensaufgaben (“Gelingen”), von Empathie und Güte, persönlichem Wachstum und Resilienz, d. h. der Fähigkeit, auch Widerstände, Rückschläge und Niederlage verarbeiten zu können.

Der Gegenpol ist das sogenannte “Languishing (= Verkümmern)”, ein vorwiegend negativ orientierter Lebensstil mit Zuständen, die als ermüdend, sinnentleert, freudlos, pessimistisch und unzulänglich, eben als “Zustände der Verkümmerung” empfunden werden.

Flourishing (die Verwandtschaft mit der “fully functioning person” von Rogers dürfte ins Auge springen) umfasst die 3 verschiedenen Dimensionen seelischer Gesundheit gleichermaßen:

  • das subjektive Wohlbefinden, 
  • die psychische Leistungsfähigkeit (Liebes-, Arbeits- und Genussfähigkeit im Sinne der WHO-Definition)
  • und das persönliche Wachstum

Diese 3 Dimensionen enthalten in kompakter Form genau das, was wir in #3 Lebensfreude, seelische Gesundheit, Glück, Sinn und Erfüllung: die Spannbreite des psychischen Wohlbefindens als den höher entwickelten Bereich der seelischen Gesundheit umschrieben haben.

Der Soziologe und Psychologe Corey Keyes, wichtiger Mitentwickler der PP, “füllte” 2002 die basale Feststellung von Antonowsky “Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit” mit einem Modell, in welchem er dem traditionell gültigen Kriterienpaar “psychisch gesund vs krank” ein zweites, gleichwertiges Kriterienpaar hinzufügte: “Flourishing/Aufblühen vs Languishing/Verkümmern”. Im Sinne dieses “Doppelkontinuums der geistigen Gesundheit” kann ein Mensch psychisch krank sein (= eine Diagnose haben) oder auch nicht, und gleichzeitig bzw. ein Stück weit unabhängig davon im Sinne seelischer Gesundheit “blühen” oder “verkümmern”. 

Die Kriterien bzw. Bausteine für Flourishing sind nach Keyes:

  1. Subjektives Wohlbefinden
    – Ausmaß positiver Gefühle verglichen mit negativen, Lebenszufriedenheit
  2. Psychisches Wohlbefinden
    – sich selbst akzeptieren
    – positive Beziehungen
    – Autonomie, Selbstbestimmtheit
    – Selbstwirksamkeit, Bewältigung von Alltagsanforderungen, aktive Gestaltung von Lebensbedingungen
    – Sinn im Leben, relevante persönliche Ziele
    – persönliches Wachstum
  3. Funktionales soziales Wohlbefinden
    – soziale Akzeptanz, sozialer Beitrag, soziale Integration

Seligman selbst fasste die aus seiner Sicht 5 wichtigsten Kriterien für Flourishing im sogenannten “PERMA”-Modell des Wohlbefindens zusammen:

  1. Positive Emotionen (s.u.)
  2. Engagement (vor allem bezogen auf die Flow-Erfahrung, die intrinsische Motivation und die auf die Gegenwart ausgerichtete Aufmerksamkeit)
  3. Relationships (soziale Beziehungen)
  4. Meaning (Sinn, s.o. Viktor Frankl)
  5. Accomplishment (Selbstwirksamkeitserwartung, Gelingen, Freude an den eigenen Fähigkeiten und Erfolgen) 

Positive Emotionen tun gut, öffnen und bauen auf ‒ die “Broaden-and-Build”-Theorie

Im Jahr 2001, unmittelbar nach der Geburtsstunde der PP als neuem empirischem Forschungsgebiet, veröffentlichte Barbara Fredrickson, eine an der Weiterentwicklung der PP maßgeblich beteiligte Psychologin, die “Broaden-and-Build”-Theorie. Ihre Theorie wurde seitdem mehrfach durch Studien bestätigt.

Die “Broaden-and-Build”-Theorie beschreibt, wie positive Emotionen die menschliche Wahrnehmung erweitern (“broaden”) und in einem rückwirkenden Effekt wiederum Ressourcen aufbauen (“build”).

Broadening. Die Art und Weise, wie das Gehirn arbeitet, wird direkt von der Art der aktuellen Emotionen beeinflusst. Während Emotionen wie Angst, Ohnmacht und Ärger Stressreaktionen und dabei u. a. eine Verengung der Wahrnehmung (“Tunnelblick”) auslösen, erweitern positive Emotionen wie Freude, Lust, Liebe, Interesse, Heiterkeit, Zufriedenheit, Stolz etc. die Wahrnehmung sowie die Verarbeitungsfunktionen des Gehirns insgesamt. Die Wahrnehmungsbereitschaft öffnet sich und je mehr Reize ein Mensch wahrnehmen, verarbeiten und mit bestehenden Gedächtnisinhalten verbinden kann, desto offener wird seine Sicht auf die Welt und desto stärker auch (langfristig) die positive Auswirkung auf das persönliche Wachstum, auf die Entwicklung der eigenen Flexibilität, Kreativität, Vitalität und Resilienz.

Wohl jeder kennt den Unterschied zwischen “richtig gut drauf und voller Energie sein” und dem “lustlosen, müden Durchhänger”. Und auch die Auswirkung darauf, wie man in der jeweiligen Stimmung mit sich, der Welt und seiner Lebendigkeit verbunden ist, wie sehr man sprüht vor Aufnahmebereitschaft, Lust auf Neues etc. ‒ oder halt auch nicht.

Entscheidend für diese Entwicklung ist allerdings nicht so sehr die Intensität der positiven Gefühle, sondern ihre Häufigkeit ‒ einfach deshalb, weil das Gehirn seine neuronalen Netzwerke langsam und in ständiger Neuverstärkung und Stabilisierung aufbaut (ähnliches Prinzip wie beim Fitnesstraining oder bei fast allen Lernprozessen: die häufige und regelmäßige Aktivität bringt den Erfolg).

Building. Dieses regelmäßige Erleben positiver Emotionen verpufft nun allerdings nicht rückstandslos in einem erfüllten Gegenwartserleben, sondern trägt darüber hinaus in einem stetig auf das System rückwirkenden Sinn zum Aufbau persönlicher Ressourcen bei: zunächst ganz allgemein zur Verstärkung der seelischen Gesundheit und des Flourishing (Kompetenz- und Sinnerleben, Selbstakzeptanz und Selbstwirksamkeit, Sinn, Optimismus, Resilienz, stabile Beziehungen). Und speziell auch (wie nachgewiesen in mehreren Korrelationsstudien) in einer deutlichen positiven Auswirkung auf die körperliche Gesundheit: z. B. auf die Immunstärke und Faktoren wie Krankheitsdauer und Stärke der Symptome. 

Undoing. Ebenfalls nachgewiesen wurde der sogenannte “Undoing Effekt”: positive Gefühle können negative Emotionen abschwächen bzw. ausgleichen. Nach Barbara Fredrickson funktioniert der Zugriff auf positive Emotionen wie ein Reset-Knopf, der die körperlichen Reaktionen nach einer Stress-Situation wieder auf null stellen kann.

Selbsthilfe in Eigenregie ‒ die KIRONDO Selbstführungsmethode  

Ganz zum Schluss (Achtung: hier kommt der Werbeblock) möchte ich meine selbst entwickelte Methode “KIRONDO Selbstführung” vorstellen und in die Landschaft der vorgestellten Ansätze einordnen.

In puncto Zielrichtung segelt KIRONDO ganz unter der Flagge der Humanistischen Psychologie und auch mit einer großen Nähe zur Positiven Psychologie, da die zentralen Werte und Ziele von KIRONDO komplett dem “ergänzten Modell des Wohlbefindens” (#3 Lebensfreude, seelische Gesundheit, Glück, Sinn und Erfüllung: die Spannbreite des psychischen Wohlbefindens) sowie der Ausrichtung der PP entsprechen, nämlich: Authentizität, Wachstum und ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung, Gesundheit im positiven und ganzheitlichen Sinn, die Orientierung auf ein aktiv zu realisierendes, erfülltes, glückliches, sinnvolles, gelingendes “gutes” Leben.

KIRONDO ist eine neu entwickelte Methode* im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung. Sie hilft dir,

  • dich selbst besser und vollständiger kennenzulernen,
  • deine Selbsthilfe-Fähigkeiten zu stärken,
  • dir über deine Bedürfnisse, Werte und Ziele klarer zu werden und dein Leben konsequenter danach auszurichten
  • und dich selbst wacher, gelassener und stärker durch deinen Alltag zu führen.

Selbsterfahrung und Selbstkenntnis

Grundlage der KIRONDO-Methode ist das „Präsenztraining“, ein umfassendes Training der eigenen achtsamen Selbstwahrnehmung. Du lernst, dein inneres Erleben in einer beliebigen Alltagssituation klarer, genauer und vollständiger zu erfassen. Immer besser zu verstehen, wie du (wirklich) tickst und was du in bestimmten Situationen tatsächlich fühlst, denkst und brauchst. Z.B.: in welchen ungünstigen Einstellungen und Verhaltensmustern du dich gerne verhedderst. Welche Potenziale in dir brachliegen. Welche verborgenen Seiten deiner Persönlichkeit gelegentlich anklopfen, weil sie auch gelebt werden wollen. Inwieweit das Leben, das du führst, tatsächlich mit deinen Bedürfnissen und Werten, Träumen und Sehnsüchten übereinstimmt. Und so vieles mehr …

Selbsthilfe

Während du mit deinem inneren Erleben zunehmend vertrauter wirst, kommst du auch immer mehr in Kontakt mit dem Panorama deiner vorhandenen und (noch) brachliegenden Fähigkeiten, Stärken und Potenziale. Die laufenden „was erlebe ich und wie ticke ich – Erfahrungen“ des Präsenztrainings verbinden sich mit praktischen Fragen wie: Welches sind meine Fähigkeiten und Stärken? Und welche fehlen mir noch? Welche inneren und äußeren Ressourcen brauche ich, um was wann und wie zu erreichen?

Hier bietet dir KIRONDO ‒ in der Art eines „Schweizer Taschenmessers der psychologischen Selbsthilfe“ ‒ ein umfassendes, ganzheitlich sortiertes Arsenal an Selbsthilfetechniken in den Anwendungsbereichen:

  • Entwicklung einer stärkeren Präsenz, Achtsamkeit, Bewusstheit im Alltag, Selbstsorge und Selbstführung (Präsenzraumtechnik)
  • Verbesserung der emotionalen Selbstregulierung und des Umgangs mit den eigenen Gefühlen
  • Methoden zur Überprüfung, Klärung und ggf. Änderung eigener Einstellungen, Denkmuster, Glaubenssätze und Werte
  • Methoden für eine verbesserte Selbstführung und Selbststeuerung im Bereich des Verhaltens (z. B. Impulskontrolle) und Handelns (z. B. Motivation, Energie, Zielklarheit, Flow)
  • Bearbeitung schwieriger persönlicher Themen (Klärung der Bedürfnisse/Motive, Fähigkeiten/Ressourcen, Werte/Ziele, Persönlichkeitszüge/Verhaltensmuster etc.)
  • Erkundung und Klärung des gesamten Spektrums der eigenen Grundbedürfnisse und inwieweit diese im Alltag und Leben aktuell erfüllt werden
  • Kennenlernen und die Arbeit mit den inneren Persönlichkeitsanteilen („inneres Team“)

Selbstführung

Auf diesem Level der Arbeit an und mit dir selbst geht es nicht mehr um die einzelnen Themen und Probleme, mit denen du dich auf der Ebene der Selbsthilfe auseinandersetzt, sondern um dich in deiner Ganzheit, dich in der Gesamtheit deiner Lebenszusammenhänge, um den „Gesamtzustand des eigenen Systems“ (das bedeutet auch: um deine (seelische) Gesundheit im positiven und ganzheitlichen Sinn). Auf dieser Ebene kommt die KIRONDO-Technik der „Selbstführung“ zur Anwendung und zwar in einem zweifachen Sinn: bezogen auf das Gegenwartserleben sowie auf deine Lebensgestaltung insgesamt.

Gegenwartserleben. Auch wenn wir unser Leben auf der Zeitachse „Vergangenheit -> Gegenwart -> Zukunft“ ordnen und verstehen ‒ ereignen tut es sich ausschließlich in der Gegenwart, im „ewigen“ Hier & Jetzt. So bedeutet Selbstführung zunächst ein bewusstes und waches „Da-Sein“ im eigenen Erleben, eine kontinuierliche Präsenz, Achtsamkeit, Gelassenheit und Selbstfürsorge in Gegenwart und Alltag, welche über die Beschäftigung mit einzelnen Problemen und Themen hinausgeht. Selbstführung in diesem Sinne ist eine übergeordnete Einstellung bzw. eine erlern- und trainierbare Fähigkeit, um 

  • sich selbst, mit all den ständig wechselnden Erlebensinhalten, Themen und Problemen, jederzeit so gut wie möglich durch jede sich ereignende Situation, eine nach der anderen, steuern zu können
  • und: um in all diesen, vor allem den schwierigen, Situationen auf die gerade benötigten Selbsthilfe-Ressourcen zurückgreifen zu können.

Lebensgestaltung. In Bezug auf die Lebensgestaltung insgesamt bedeutet Selbstführung, das eigene Leben im Einklang mit den persönlichen Bedürfnissen und Werten aktiv, bewusst und selbstverantwortlich „nach vorne“ zu gestalten. Hier steht Selbstführung für den Überblick über das persönliche Lebensganze und eine umfassende Selbstorganisation, für eine gezielte Selbst- und Persönlichkeitsentwicklung, für das bewusste Annehmen des eigenen persönlichen Wachstumsprozesses. Für die Bereitschaft,

  • wichtige Sinnfragen, Werte und Ziele zu klären,
  • dafür realistische Umsetzungsstrategien zu entwickeln
  • und diese Umsetzung wiederum im Lebensalltag entsprechend zu organisieren.

Anwendungsbereiche

KIRONDO ist im Prinzip für alle denkbaren Probleme/Themen im Bereich der psychologischen Selbsthilfe bzw. Selbstführung geeignet − vorausgesetzt, diese bedürfen keiner externen professionellen Hilfe (ärztliche Behandlung oder Psychotherapie). In diesen Fällen kann KIRONDO grundsätzlich auch ergänzend praktiziert werden, eine Behandlung oder Therapie jedoch keinesfalls ersetzen.

Besonders geeignet ist KIRONDO für

  • Menschen in schwierigen Lebenssituationen (Trennung, Verlust, Konflikte, schwierige Entscheidungen, Herausforderungen etc.) oder in inneren Krisen (Sinnverlust, innere Entfremdung, unklare Werte und Lebensorientierung). Unglückliche, leidende, feststeckende, belastete, aus dem Gleichgewicht geratene Menschen, die ihr Leben wieder in eine positive, gesunde und selbstnahe Richtung bringen wollen.
  • Persönlichkeitsentwicklung/Selbstorganisation. Menschen mit Interesse an Selbstentfaltung, Persönlichkeitsentwicklung, Wachstum und ganzheitlicher Selbstorganisation. Menschen mit dem bewusst angenommenen Bedürfnis nach persönlichem Wachstum, nach Selbstentfaltung und nach ganzheitlichem Vorwärtskommen.
  • Hochsensible Menschen (HSP). Hochsensible Menschen sind aus physiologischen Gründen besonders gefordert, den laufenden Ansturm ihres Innenlebens zu bewältigen. Gerade ihnen bietet KIRONDO mit der Kultur des Inneren Beobachters, des Akzeptierens, des inneren Energiemanagements, der inneren Integration und achtsamen Selbstführung ein ideales Instrumentarium.

* Die KIRONDO-Methode beruht auf einer neu entwickelten Matrix, mit welcher alle wesentlichen Aspekte eines Erlebens oder Themas erfasst, integriert dargestellt und mit einem ebenfalls ganzheitlich sortierten Set an Einzeltechniken bearbeitet und aufgezeichnet werden können. Dies geschieht vorwiegend mit dem Modell der “Inneren Bühne”, einer Art Nachkonstruktion der menschlichen Erlebensperspektive. Näheres zur technischen Seite der KIRONDO-Methode siehe kirondo.net/Methode.

Zusammenfassung

Psychologie und Psychotherapie bieten naturgemäß eine ganze Reihe von Methoden, die sich mit dem seelischen Wohlbefinden, der seelischen Gesundheit, auch unter ihrem ganzheitlichen, positiven und salutogenetischen Aspekt sowie dem persönlichen Glück, Lebenssinn und erfüllten Leben zuwenden:

  • die Verhaltenstherapie (VT): nicht generell, aber in einzelnen, sehr bedeutsamen, weil “Paradigmen wechselnden”, Ansätzen: vor allem mit der Einführung der Schlüsselkompetenz “Achtsamkeit” (z. B. bei MBSR und ACT) und der Tendenz zur ganzheitlichen Integration der therapeutischen Interventionen (z. B. in der Schematherapie)
  • die Humanistische Psychologie, die mit ihrer grundsätzlichen Ausrichtung auf Selbstverwirklichung, Selbstaktualisierung und der vollen Entfaltung des persönlichen Potenzials so etwas wie die “traditionelle Hausmacht” dieser Richtung darstellt
  • die systemische Richtung: wie die VT nur in einzelnen Ansätzen. Hier sticht vor allem die Synergetik bzw. die Psychosynergetik heraus. Grundsätzlich wichtig ist der systemische Blickwinkel an sich: Gesundheit im salutogenetischen Sinn kann nur als Zustand des Systems verstanden werden 
  • die Positive Psychologie als jüngste Richtung schließlich dürfte diejenige sein, die sich empirisch wie praktisch, selbsthilfetechnisch wie therapeutisch am fokussiertesten der positiven, salutogenetisch verstandenen Gesundheit und dem persönlichen Lebensglück zuwendet, wie es z. B. im zentralen Konzept des “Flourishing” (Aufblühen, Gedeihen im Sinne des persönlichen Wachstums) zum Ausdruck kommt.

Auf dem nichttherapeutischen Feld der Selbsthilfe versteht sich KIRONDO Selbstführung als ein methodisch neuer, ganzheitlicher und praktisch ausgerichteter Ansatz im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und des persönlichen Wachstums. Hinsichtlich der Ziele und Werte schließt sich KIRONDO vollständig der Zielrichtung der Humanistischen Psychologie sowie der Positiven Psychologie an. In Form eines integrierten Selbsthilfe- und Trainings-Ansatzes verbindet KIRONDO die Ebenen

  • Selbsterfahrung/Selbstkenntnis: das alltagsbegleitende “Präsenztraining” hilft, sich selbst immer besser, genauer und vollständiger kennenzulernen und die eigene Selbstkenntnis systematisch zu erweitern
  • Selbsthilfe: ein umfassendes, ergänzungsoffenes, ganzheitlich sortiertes Arsenal an Selbsthilfetechniken („Schweizer Taschenmessers der psychologischen Selbsthilfe“) unterstützt die Entwicklung der eigenen Selbsthilfe-Fähigkeiten, Ressourcen, Stärken und Handlungsoptionen. 
  • Selbstführung: Ansatz einer ganzheitlichen und wachstumsorientierten Selbstorganisation, um sich über die eigenen Bedürfnisse, Werte und Ziele klarer zu werden, um das eigene Leben im Einklang mit den persönlichen Bedürfnissen und Werten aktiv, bewusst und selbstverantwortlich „nach vorne“ zu gestalten und um sich selbst wacher, gelassener und stärker durch beliebige Alltagssituationen führen zu können.

Literatur

Blickhan, D. (2021): Positive Psychologie und Coaching, Junfermann Verlag, Paderborn

Gendlin, E. (2004): Focusing, 4. deutsche Auflage. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg

Hansch, D. (2002): Evolution und Lebenskunst: Grundlagen der Psychosynergetik. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen

Harris, R. (2011): ACT leicht gemacht. Arbor-Verlag, Freiburg

Holms, T. (2013): Reisen in die Innenwelt. Systemische Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen, 3. Auflage, Kösel Verlag, München

Jason, B. et al. (2012): ACT-Training. Junfermann Verlag, Paderborn

Roediger, E. (2009): Praxis der Schematherapie. Schattauer Verlag, Stuttgart

Stahl, S. (2015): Das Kind in dir muss Heimat finden. Kailash Verlag, München

Storch, M. Krause, F. (2014): Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

Vester, F. (2002): Die Kunst vernetzt zu denken. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

Weiser Cornell, A., (1997): Focusing – Der Stimme des Körpers folgen. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg

Young, J. E., Klosko J. S. (2006): Sein Leben neu erfinden. Junfermann Verlagsbuchhandlung, Paderborn

Young, J. E. et. al. (2005): Schematherapie. Junfermann Verlagsbuchhandlung, Paderborn

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