#8 Ressourcen des persönlichen Wachstums: Resilienz, Gelassenheit und Weisheit

Selbstorganisation des inneren Erlebens ‒ das Attraktormodell der Synergetik im Bereich der Psychologie

August 8, 2022

Der Begriff “Ressourcen” umfasst alles, was für einen bestimmten Zweck gebraucht oder angewendet werden kann. Das können persönliche Eigenschaften, z. B. Charakterstärken, Fähigkeiten (etwas Gelerntes) oder externe Mittel sein (z. B. Geld oder das Internet). Also etwas, das man ist, kann, weiß oder hat. Eine Ressource ist etwas, das für einen bestimmten Bedarf zur Verfügung steht (oder auch nicht, dann ist dies eine fehlende Ressource). 

Es leuchtet ein, dass auch seelische Gesundheit in ihrer dynamischen, verletzlichen, fürsorgebedürftigen Gesamtheit auf verschiedenste Ressourcen zurückgreifen können muss und direkt von einer laufenden Ressourcenversorgung abhängt. Es würde hier zu weit führen, diesen riesigen Ressourcenbedarf zu klassifizieren (“was braucht seelische Gesundheit alles, um sich zu erhalten?”). Wir bleiben deshalb eng am roten Faden und schauen uns mit der Resilienz, der Gelassenheit und der Weisheit drei “Riesen-Ressourcen” näher an, zumal sich diese drei, wie wir noch sehen werden, als sehr bedeutsam für das Erleben von Glück, Sinn und Erfüllung erweisen werden.

Resilienz

Was bedeutet Resilienz? Welche Resilienzfaktoren gibt es und wie lässt sich Resilienz stärken? Über welche Ressourcen verfügt ein Mensch, der resilient ist? 

Definition

“Resilienz ist das Immunsystem der Seele.” Mit diesem Satz wird Resilienz gerne auf den Punkt gebracht. Gemeint ist damit die psychische Widerstandskraft gegenüber einer negativen, überfordernden Stressbelastung (Distress) und die Fähigkeit, diese Stressbelastung ohne dauerhafte Schädigung zu verarbeiten. Im Unterschied zur “Resistenz”, die sich eher auf die konkrete Widerstandskraft im Einzelfall bezieht (z. B. “Stressresistenz”), meint die “Resilienz” eher die allgemeine ‒ teils angeborene, teils erworbene ‒ Fähigkeit, vor allem schwere Belastungen wie Lebenskrisen oder Schicksalsschläge zu meistern, ohne sich davon dauerhaft aus der Bahn werfen zu lassen. Ein resilienter Mensch kommt tendenziell rasch wieder auf die Beine und bewältigt sein Leben wie zuvor. 

Für das Phänomen der Resilienz gibt es verschiedene, vor allem biologische und psychologische, Definitionen und Modelle. Die biologische Definition geht von dem Grundvorgang aus, dass bedrohliche Stressreize im Körper hormonelle Reaktionsketten in Gang setzen (Ausschüttung von Cortisol und Noradrenalin). In diesem Zusammenhang beschreibt “Resilienz” die Fähigkeit des Organismus, wieder in den hormonellen Normalzustand zurückzukehren. 

Die etablierten psychologischen Stressmodelle sind sich in dem Punkt einig, dass außer den objektiven Stressfaktoren auch die persönliche Disposition bzw. Stressempfindlichkeit (“Vulnerabilität = Verwundbarkeit) eine entscheidende Rolle spielt. Ein resilienter Mensch ist somit jemand, der trotz hoher persönlicher Vulnerabilität und unter hoher Stressbelastung dennoch keine Symptome einer Störung entwickelt. 

Faktoren

Aus welchen einzelnen Elementen bzw. Fähigkeiten setzt sich Resilienz als daraus resultierende Gesamt-Ressource zusammen? Auch zu dieser Frage gibt es eine Reihe von Erklärungen, Modellen und vor allem: Listen mit unterschiedlich vielen Faktoren. 

Führend im Kontext der Positiven Psychologie ist das Resilienzmodell von Karen Reivich und Kollegen (Reivich & Shatté 2003). Reivich definiert Resilienz als Fähigkeit, mit Schwierigkeiten umzugehen und definiert die folgenden 7 “Säulen der Resilienz”: 

  1. Emotionssteuerung
  2. Selbstwirksamkeits-Überzeugung
  3. Impulskontrolle
  4. Zielorientierung (problemlösend denken, sich auf das Wesentliche konzentrieren)
  5. Kausalanalyse (Denkmuster erkennen, Denkfallen vermeiden, “Eisberge” entdecken)
  6. Empathie
  7. Realistischer Optimismus

Daran angelehnt ist das Modell von Bea Engelmann (dargestellt in: „Therapie-Tools Resilienz”, Beltz Verlag 2014) mit einer praktischen und umsetzungsorientierten Ausrichtung:

  1. Selbstwahrnehmung
  2. Lebensfreude
  3. Selbstwirksamkeit
  4. Selbstbestimmung
  5. Optimismus
  6. Coping (Problembewältigung)
  7. Empathie

Gelassenheit

Zu Karen Reivichs Liste der Resilienzfaktoren gehört an 3. Stelle die “Impulskontrolle”. Damit ist eine Kerneigenschaft der Gelassenheit bereits als eine “Säule der Resilienz” erfasst. Jedoch ist Gelassenheit weit mehr als eine entspannte und beherrschte Verhaltensreaktion in einer Stress-Situation ‒ wie von Wikipedia gut auf den Punkt gebracht:

“Gelassenheit, Gleichmut, innere Ruhe oder Gemütsruhe ist eine innere Einstellung, die Fähigkeit, vor allem in schwierigen Situationen die Fassung oder eine unvoreingenommene Haltung zu bewahren. Sie ist das Gegenteil von Unruhe, Aufgeregtheit, Nervosität und Stress.

Während Gelassenheit den emotionalen Aspekt betont, bezeichnet Besonnenheit die überlegte, selbstbeherrschte Gelassenheit, die besonders auch in schwierigen oder heiklen Situationen den Verstand die Oberhand behalten lässt, also den rationalen Aspekt innerer Ruhe.” (Wikipedia)

Die Gelassenheit als Einstellung, auch unter dem Aspekt der Besonnenheit, kommt bilderbuchmäßig zum Ausdruck im bekannten “Gelassenheitsgebet”: “Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden”.

Als “gekonnte Impulskontrolle”, als konkretes Verhalten in einer schwierigen Situation steht Gelassenheit jedoch auch für die Fähigkeit, sich gegen die eigenen Impulse und Emotionen durchzusetzen und ‒ eben ‒ besonnen und diszipliniert zu verhalten. Was sehr schwer und herausfordernd sein kann, 

  • einerseits abhängig von der Situation und dem Ausmaß des Stresses, 
  • andererseits vom eigenen Naturell und Temperament, von der persönlichen Emotionalität und Impulsivität
  • und natürlich von der Fähigkeit, diese emotional oft machtvoll aufgeladenen Impulse abzubremsen und zu kontrollieren. 

Gelassenheit kann eine angeborene Gabe sein, jederzeit leicht und natürlich einsetzbar, aber auch eine mühsam erworbene und mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden Fähigkeit der Selbstdisziplin. 

Weisheit

Die dritte und letzte unserer “Ressourcen-Feen” ist auf den ersten Blick wohl am schwersten zu fassen. Der Begriff “Weisheit” klingt beinahe etwas grenz-esoterisch, im besten Fall “old school” humanistisch, aber definitiv nicht wie ein begriffliches Gewächs aus unserer wissenschaftlich-rationalen Jetztzeit. 

Das klingt auch etwas in der Fassung von Wikipedia durch, wonach sich die Definitionen und Konzepte von Weisheit “… in den Spannungsräumen zwischen Rationalität und Intuition, Wissen und Glauben sowie zwischen Erfahrung und Instinkt bewegen.” 

Dennoch täuscht dieser Eindruck! Wikipedia selbst definiert Weisheit kurz und kompakt als “ … ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft sowie die Fähigkeit, bei Problemen und Herausforderungen die jeweils schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren.” Damit ist das Thema “Weisheit” bereits präzise umrissen.

Und “gefüllt” wird dieses klar umrissene Thema durchaus von einigen (vorwiegend psychologischen) Ansätzen, wissenschaftlich so solide fundiert und therapeutisch bewährt genug, um das Feld nicht komplett der spirituellen und subjektiven Seite überlassen zu müssen. 

Weisheitskompetenzen

Wie auch beim ähnlich komplexen Thema Resilienz laufen diese Ansätze in der Regel auf eine Bündelung verschiedener Einzelkompetenzen hinaus. 

So macht die Psychologin und Weisheitsforscherin Judith Glück die Weisheit von Menschen an den folgenden 5 Eigenschaften bzw. Ressourcen fest:

  1. Offenheit: die Bereitschaft, sich auf neue Erfahrungen, andere Denkweisen, Veränderungen einzulassen
  2. Der gute Umgang mit Gefühlen: Sensibilität für die Komplexität der eigenen Gefühle und den Umgang mit ihnen
  3. Einfühlungsvermögen: Mitgefühl und Offenheit ‒ auch für Menschen, die uns nicht “liegen” 
  4. Kritisches Reflektieren: weise Menschen denken nach: gerne, mehr als andere Leute und oft etwas weiter
  5. Die Überwindung der Kontrollillusionen: die realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Grenzen

Schließlich liegt zum noch sehr jungen Forschungsgebiet der Weisheitspsychologie eine umfassende Arbeit der “Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation” an der Charité Berlin vor. Kai Baumann und Michael Linden präsentieren hier ein empirisch fundiertes Konzept einer Weisheitstherapie bzw. ein Modell von 10 elementaren Weisheitskompetenzen:

  1. Perspektivwechsel: die Fähigkeit, ein Thema unter verschiedenen Blickwinkeln zu sehen und damit auch neue Spielraum für Problemlösungen zu schaffen
  2. Empathiefähigkeit: Schlüsselfähigkeit, um das (emotionale) Erleben, die Sichtweise und Einstellung anderer beteiligter Personen selbst nachvollziehen und verstehen zu können 
  3. Emotionswahrnehmung und Emotionsakzeptanz: Basale Fähigkeiten emotionaler Intelligenz: die eigene emotionale Beteiligung erkennen, abgrenzen und akzeptieren, und damit auch die eigene Abwehr/Verdrängung/Projektion etc. unterbrechen können
  4. Emotionale Ausgeglichenheit und Humor (Serenität): Humor, Selbstironie, Reflexion, Abstand zu den eigenen Gefühlen, Gelassenheit, Impulskontrolle: wirksame Strategien im Umgang mit negativen Emotionen und zur Stärkung einer guten Kommunikation 
  5. Fakten- und Problemlösewissen: spezifisch nützliches, versachlichendes, strategisches/lösungsorientiertes Wissen
  6. Kontextualismus: Ereignisse in die richtigen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhänge einordnen können 
  7. Wertrelativismus: Toleranz; die Fähigkeit, die Meinungen und Wertvorstellungen anderer gelten lassen zu können, ohne sie als Angriff auf eigene Positionen zu erleben
  8. Nachhaltigkeitsorientierung: langfristige Folgen des eigenen Handelns, insbesondere die langfristig negativen Konsequenzen kurzfristig befriedigender Handlungen, überblicken können
  9. Ungewissheitstoleranz: mit der prinzipiellen Unvorhersehbarkeit von Ereignissen und Entwicklungen leben können, den eigenen optimistischen Lebensmut vor Zukunftsangst und angstbasiertem Präventiv- und Kontrollverhalten schützen können
  10. Selbstdisziplin und Anspruchsrelativierung: Bescheidenheit; akzeptieren, dass man nicht der Nabel der Welt ist. Seinen Platz finden, schätzen und genießen. Beispiel für Anspruchsrelativierung: den Konzertbesuch nicht deshalb nicht genießen, weil man nicht in der VIP-Loge, sondern in der letzten Reihe sitzt.

Eine Darstellung der dritten und letzten Rubrik der Faktoren und Bedingungen seelischer Gesundheit, des “Sinns” nämlich, findest du unter #9 Sich in größeren Zusammenhängen begreifen: Lebenssinn, Stimmigkeit und Werte

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